Die Erweiterung zweier Schigebiete im Hochpustertal wurde vorletzte Woche von der Landesregierung genehmigt. Zwar punktuell, aber doch großflächig wird Landschaft und Natur unwiederbringlich verändert, und wohl kaum zu einem Besseren. Soweit so schlecht. Wenn es triftige Gründe gibt dann sollte es erlaubt sein auch ein Stück Natur für Fortschritt zu opfern, dann wird aus moosigem Fichten- und Zirbenwald und eine bucklige Weide zu grünbrauner Langeweile. triftige Gründe gibt es in beiden Fällen, aber sind sie auch langfristig durchdacht? Sind sie auch Teil einer Tourismusstrategie die diesen Namen verdient?
Die Vorteile einer Anbindung an den öffentlichen Verkehr im Falle Ried sind natürlich nicht von der Hand zu weisen. Der Brunecker Hausberg ist längst Opfer eines gigantischen und höchst erfolgreichen Tourismusindustrie geworden. Unberührt davon sind allenfalls einzelne Hänge (wie eben der Nordost-Hang). Trotzdem sind die Befürchtungen von Anrainern und Naturfreunden ernst zu nehmen, die befürchten ein Stück Natur vor der Haustür gegen noch mehr Belastungen einzutauschen. Von Arroganz indes zeugt die Eile der Landesregierung in diesem Fall, die nicht gewillt war die Entscheidung eines für den Herbst anberaumten Volksentscheids abzuwarten.
Auch in Sexten gibt es triftige Gründe. Schigebiete zu vernetzen ist sicherlich ein Zeichen der Zeit. Die Verbindung von Schigebieten ist wohl der einzige Ausbau der ökologisch noch einigermassen zu rechtfertigen ist. Und doch gerät man auch dadurch in eine Spirale des ewigen Wachstums, wo ein Schigebiet das andere auszustechen versucht. Eine Spirale die zuguterletzt mehr Verlierer als Gewinner produziert, die die Tourismusgebiete davon abhält nach umwelt (und menschen-)schonendere Formen des Schitourismus zu suchen.
Im gesamten Hochpustertal sollte man sich ernsthaft überlegen wohin der Weg gehen soll. Ganz elementare Fragen sollten diskutiert werden bevor weiter auf Ausbau der Infrastrukturen gesetzt wird. Haben die Touristenzahlen nicht schon ein erträgliches Maß überschritten? Ist eine weitere Steigerung derselben für die Volkswirtschaft überhaupt noch nötig? Bevor unsere Landespolitiker die Entscheidungen treffen, die für kommende Generationen so entscheidend sind, sollten sie sich die Mühe machen im Privatauto an einem regnerischen Sonntag-Nachmittag im August von Bruneck nach Innichen zu fahren um dort zur romanischen Stiftskirche zu spazieren. Und dann sollten sie sich bewusst werden, dass der Stau und die Menschenmassen die sie dort erlebten für viele Menschen nicht Teil eines einmaligen Abenteuers sind, sondern Alltag bedeuten.
Tourismus kann einen Punkt erreichen, wo die Negativfolgen für die Gesellschaft die positiven überwiegen. Verkehr, Lärm, Umweltverschmutzung sind dabei die sichtbarsten, soziologische Folgen, etwa die Beeinträchtigung sozialer Netze, Entwurzelung, Verlust von Rückzugsgebieten und Treffpunkten sowie der Verlust eines eigenens Rhytmuses durch die extreme Saisonalität des Tourismus sind weniger evident, aber sicherlich nicht weniger bedeutend. Dass etwa die alteingesessene Bevölkerung der Tourismusmetropole Barcelona ihr einst so geschätztes Stadtzentrum mittlerweile meidet wie es nur geht, ist nicht nur eine Kuriosität. Einhergeht auch ein Verlust von gesellschaftlichen Strukturen, die über Jahrhunderte gewachsen sind. Ab einem gewissen Punkt werden die Segnungen des Tourismus durch dessen Nachteile aufgehoben, manchmal sogar ins Gegenteil verwandelt. Während bei einem maßvollem Tourismus die Begegnungen mit den Gästen aus Nah und Fern eine Bereicherung darstellen, wird diese durch Abneigung und Vorurteile ersetzt, sobald die Touristenmassen die Fußgängerzonen und Schihütten überschwemmen.
Natürlich gibt es Tourismusformen die sanfter sind als andere, der Sommertourismus etwa ist in den Alpen meist sanfter als der Wintertourismus. Das Problem ist nur, dass die zwei nicht zur Gänze vereinbar sind, zumindest dann, wenn es sich bei letzterem um einen Schitourismus handelt. Kronplatz, Plose oder Meran 2000 haben ihren Reiz als sommerliches Erholungsgebiet weitgehend verloren. Während sich im Sommer auf der Seiser Alm hauptsächlich Touristen die Klinke in die Hand drücken, ist so manche Hütte in den schipistenarmen Sarntaler Alpen an freien Tagen zum Bersten voll mit „Doigen“.
Auch diesbezüglich ist ein weiterer Ausbau des Wintertourismus kritisch zu hinterfragen (auch wenn Sexten hierbei den Vorteil hat, dass die Aktivitäten von Winter- und Sommertourismus räumlich weitgehend getrennt sind). Die Tourismusleitbilder, die in den letzten Jahren in Bezirken und Gemeinden Südtirols mit viel Mühe erstellt wurden, scheinen jedenfalls totes Papier zu bleiben. Eine Landesregierung mit fast masturbatorischer Entscheidungswut, zieht es jedenfalls noch immer vor aus dem Bauch heraus zu entscheiden.